„Die Ängstlichen verpassen ihr Leben“

Holzheimer Figurentheater „spielbar“ wagt sich mit Kaspertheater rund um das Coronavirus erstmals in den Livestream – Aufruf zum gesellschaftlichen Zusammenhalt auch in Pandemiezeiten

Kaspers Oma ruft dazu auf, das Leben auch in schwierigen Zeiten nicht zu vergessen. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

Kaspers Oma ruft dazu auf, das Leben auch in schwierigen Zeiten nicht zu vergessen. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

Mechernich-Holzheim Seit einem Jahr haben viele Künstler in Deutschland quasi Auftrittsverbot. Wer nicht gerade fürs Fernsehen oder den Rundfunk arbeitet, ist entweder gezwungen, seine Kunst ruhen zu lassen, oder nach neuen digitalen Möglichkeiten der Aufführungspraxis zu suchen, wissend, dass dies die Interaktion mit dem Publikum nicht ersetzen kann. Ähnlich ergeht es auch dem Holzheimer Figurentheater „spielbar“.

„Ich habe seit einem Jahr gewissermaßen Berufsverbot“, sagt die studierte Diplom-Figurenspielerin Nartano Petra Eden, die es normalerweise gewohnt ist, vor einem Haus voller Kinder zu spielen. Die Corona-Schutzverordnung lasse solche Auftritte aber nicht zu, und es sei derzeit ungewiss, wann das Spielen vor Publikum überhaupt wieder möglich sein werde.

Dabei gehört die allgegenwärtig angemahnte „Distanz“ eigentlich mit zu den Ingredienzien des Figurentheaters. „Die Kinder sitzen immer weit von den Figuren entfernt. Anders als im Fernsehen, wo jedes kleine Detail der Puppen und der Kulisse erkennbar ist, wird durch die Distanz die Phantasie der Kinder aktiviert. Vieles müssen sie sich selber vorstellen, sie sind also nicht nur Konsumenten.“ Gerade beim Kaspertheater wird diese Interaktion mit den Kindern auf die Spitze getrieben. Denn der Kasper fordert die Kinder immer wieder auf, ihm zu helfen, oder er stellt Fragen, auf die die Kinder unisono antworten.

Um nicht ganz den Kontakt zu den Kindern und die eigene Spielpraxis zu verlieren, hat Nartano Petra Eden jetzt erstmals beschlossen, mit ihrem Figurentheater ins Internet zu gehen und einen Livestream zu wagen. Unterstützt wurde sie dabei von ihrem Mann, Tameer Eden, der als Redakteur der Eifeler Presse Agentur (epa) über das nötige technische Equipment für einen solchen Livestream verfügt, das normalerweise von der epa Unternehmen im Kreis Euskirchen für Liveveranstaltungen zur Verfügung gestellt wird.

Über 50 Zuschauer sahen am Sonntagmorgen das Stück „Kaspers Oma in Gefahr“ live. Das war allerdings kein alter Kasper-Evergreen, sondern ein neues Stück von Nartano Eden, das sich rund um die Coronapandemie drehte. „Das Stück möchte Kindern helfen, die belastende Situation mit den vielen Einschränkungen besser zu verstehen“, so die Leiterin des Holzheimer Figurentheaters. Es sollten Ängste genommen, ein paar wichtige Verhaltensweisen spielerisch vermittelt und vor allem bewusst gemacht werden, dass man seine Lebensfreude nicht verlieren darf.

Für Kasper ist klar, er möchte unbedingt seine witzige und kluge Oma wiedersehen. Er freut sich darauf, mit ihr zu schwatzen, Tee zu trinken, Kuchen zu essen und ein Spielchen zu machen. Doch seine Freundin Gretel erweist sich als Bedenkenträgerin. Erst gestern habe er gehustet,  und er könne daher seine Oma gefährden. Nachdem Kasper zunächst davon träumt, dass die Viren überall sind und er mit Zorn und Angst reagiert, ja in Schnappatmung verfällt, lernt er langsam, wie er sich schützen kann und dass Angst das völlig falsche Mittel ist, um auf das Virus zu reagieren. Da er glaubt, dass die ganze Welt verhext sei, erhofft er sich Hilfe von der Hexe, die die Welt wieder enthexen soll. Doch für die Hexe ist die Pandemie ein Supergeschäft und sie denkt gar nicht daran, Kasper zu helfen. Stattdessen verkauft sie lieber allerhand nutzlosen Schutzzauber, Amulette und anderen Schabernack, und freut sich darüber, dass die Menschen Angst haben, denn wer Angst hat, so weiß sie aus ihrem „Strategiepapier“, kauft alles.

Schließlich trifft Kasper selbst auf das Virus, das ihm berichtet, wie sehr es Menschenansammlungen in schlecht belüfteten Räumen liebt und vor allem auch ängstliche Menschen, da deren Immunsystem schwach ist und alle Türen für seine große Familie quasi offenstehen. Menschen, die glücklich und zufrieden sind, so verrät das Virus, könne es leider selten etwas anhaben.

Zum Schluss des Stücks kommt Kaspers Oma selbst zu Wort. Sie klärt Kasper darüber auf, dass der Mensch vor allem ein soziales Wesen ist, das Berührung und Zuneigung benötigt, um gesund zu bleiben. „Ich bin schon alt, aber ich will doch noch leben“, sagt die Oma, die sich nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes einsperren lassen will. Denn sie weiß: „Die Mutigen leben zwar etwas kürzer, aber sie leben, während die Ängstlichen ihr Leben verpassen.“

Für Erwachsene, die dieses Stück sehen, bleibt am Ende ein etwas beklemmendes Gefühl zurück. Denn ganz nebenbei transportiert das Stück eine Kritik, die gar nicht im Stück selbst enthalten ist, sondern in dem, was fehlt: nämlich die Kinder. Wer einmal ein Kasperstück vor dem Lockdown gesehen hat, der weiß, dass sie die eigentlichen Protagonisten eines Kaspertheaters sind, die dem Geschehen auf der Bühne erst lautstark Leben einhauchen. Aber während manche Künstler gerade gefühlt Berufsverbot haben, unterliegen die Kinder offensichtlich zurzeit dem Verbot, einfach nur Kinder zu sein.

„Kaspers Oma in Gefahr“ wird demnächst auf dieser Seite als Download veröffentlicht.

 

 

Eifeler Presse Agentur/epa

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